Die zwei Gesichter Boliviens - Die fantastische Reise des Froschs

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Die zwei Gesichter Boliviens

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Die zwei Gesichter Boliviens


Auf ihrem Weg nach Norden reisen Kathrin und Andreas zum zweiten Mal durch Bolivien. Nun ohne Zeitdruck und mit der Absicht einen umfassenden Eindruck des Landes zu erhalten. Sie wollen nicht nur das Altiplano bereisen, sondern, trotz der Hitze, die ihnen nicht sehr zusagt, auch den Schritt ins Tiefland wagen.
Bolivien ist wahrscheinlich eines der ärmsten Länder Südamerikas, obwohl das nicht sein müsste, denn es ist ein Land reich an Bodenschätzen. Am Cerro Rico in Potosí haben schon die Inkas Silber abgebaut lange bevor die Spanier über das Land herfielen und es ausbeuteten. Kathrin hat das Buch „Die offenen Adern Lateinamerikas“ von Eduardo Galeano gelesen. Es berichtet wie die Europäer Südamerika in den früheren Jahrhunderten nach Strich und Faden ausgenommen – man müsste eher sagen beraubt – haben. Somit hatten die Länder Südamerikas allesamt einen schlechten Start, um sich in der Weltwirtschaft zu behaupten. Auch bis in die heutige Zeit hat sich die Situation wenig geändert: Grosse internationale Konsortien nutzen die armen Länder aus und bringen sie um ihren Reichtum.
Viel Geld geht in die Taschen weniger, Geld das dringend benötigt würde für eine bessere Infrastruktur wie Schulen und Krankenhäuser. Die Leidragenden sind die Armen, die Arbeitslosen und die Bauern auf dem Land. In kaum einem Land Südamerikas sind die Unterschiede zwischen arm und reich so gross wie in Bolivien.

In Städten wie Sucre oder Santa Cruz leben die Reichen. Sie fahren teure Autos mit getönten Scheiben und leben in luxuriösen Häusern. Sie tragen schicke Kleider und gestylte Frisuren, besitzen Smartphones, teure Uhren und gehen in den grossen Einkaufszentren am Rande der Stadt shoppen. Auf den ersten Blick unterscheiden sie sich nicht von den Reichen anderer Länder.

Auf der andern Seite sehen Kathrin und Andreas die Landbevölkerung, Bauern und Hirten, die im abgeschiedenen Bergland in Lehmhütten ohne Fenster und Heizung wohnen und denen der karge Boden kaum ein Auskommen bringt. Im Kontakt mit uns Fremden sind sie ungeübt;  meinen Reisegefährten wird meist lange nachgestarrt, was wollen die beiden hier in der Abgeschiedenheit? Touristen schauen sich normalerweise andere Sehenswürdigkeiten, sprich „Schöneres“ an als diese „heruntergekommenen“ Landstriche.
Die touristischen Sehenswürdigkeiten Boliviens liegen wie Perlen einer Halskette aneinander aufgereiht: Copacabana am Titicacasee, die Eisriesen Illimani und Illampu, die Todesstrasse nach Coroico, der Salar de Uyuni, die ehemalige Silberstadt Potosí, die weisse Hauptstadt Sucre. Heutzutage sind diese Orte auf meist guten, asphaltierten Strassen in einigermassen komfortablen Bussen zu erreichen. Auf die Touristen warten hübsche Herbergen und auf westliche Gaumen eingerichtet Restaurants. Reiseagenturen bieten ein volles Abenteuerprogramm: Rafting, Kanu fahren, Eisklettern, Bergsteigen, Wandertouren bis hin zu Flying Fox und Velofahren ist die Palette ausgekleidet. Es ist ein Einfaches nichts von Boliviens Missständen und Armut wahrzunehmen. Da sei die Frage erlaubt, ob dies das wirkliche Bolivien ist?

Gegensätzliches Klima und vielfältige Vegetation
Im Altiplano, auf über 4000 Metern gelegen, wird es nachts empfindlich kühl, das Thermometer kann schnell auf ein paar Grad unter null sinken. Tagsüber, wenn ein Wind weht, ist Kathrin meist froh um einen Pullover und eine Windjacke. Relativ rasch jedoch befindet man sich in tieferen Lagen, um die 3000 Meter, und dort schwitzt man tagsüber schon ganz schön. T-shirts sind angesagt, Shorts wären angenehm, aber die Einheimischen tragen so was nicht, also passen sich Kathrin und Andreas an und tun es ihnen gleich.
Fährt man noch weiter runter, bis ins Tiefland zwischen 500 und 1500 Metern, steigen die Temperaturen auf weit über 35° und die Feuchtigkeit nimmt zu. Die Vegetation ist tropisch und die Menschen sehen etwas anders aus. Auch die Rinder sind von einer anderen Sorte, weiss und buckelig. Nachts kühlt es nicht ab und schlafen ist ein Martyrium.
Die verschiedenen Grüntöne des Dschungels sind eine Wohltat für das Auge im Kontrast zum sehr kargen Altiplano, wo Braun die vorherrschende Farbe ist. In der Höhe gedeihen Kartoffeln und Mais auch Lupinien deren Kerne als Chocho angeboten werden. Trotz der vielen kleinen mit künstlichen Wasserkanälen bewässerten Felder, die die trockenen Hänge überziehen ist die Gegend in grosser Höhe eher als trostlos und wüstenhaft zu bezeichnen. Das Gras, das am Strassenrand und auf Weiden wächst ist strohgelb und trocken wie Zunder. Andreas staunt immer wieder, dass die Kühe und Schafe sich mit diesem Gras zufrieden geben.
Im Tiefland hingegen wuchern alle möglichen Gewächse. Schlingpflanzen klettern Bäume hoch, Farne und Bambus mischen sich unter die Urwaldriesen und es wimmelt von tropischen Früchten, die, wie es scheint, ohne viel Aufwand wachsen. Diese Vielfalt ist faszinierend.
Auf den Hochebenen ist das Ambiente der Städte ganz anders als im Tiefland. In den Bergstädten sind die Restaurants und Läden auf die Innenräume von Häusern beschränkt: Oft ist es drinnen ziemlich dunkel, eine nackte Glühbirne, die von der Decke hängt, lässt erahnen, was man auf dem Teller hat oder was sich in den vielen grossen Säcken zum Verkauf anbietet. Im Tiefland hingegen haben viele Restaurants Terrassen oder Balkone oder besitzen gar keine Fensterscheiben, alles ist offen und luftig. Die Läden stapeln ihre Ware bis hinaus auf die Strasse. In den Gassen herrscht ein buntes Treiben und statt der Busse verpesten die vielen Mototaxis die Luft mit ihren Abgasen. Laute Musik dröhnt aus Häusern und vermischt sich mit dem Motorenlärm. Auch hier begegnet man zwei Welten.

El camino de la muerte
Der Name allein – Weg des Todes – lässt sich prima vermarkten. Der Todesweg ist inzwischen ein „Must Do“ für viele Touristen. Es handelt sich dabei um die alte, schmale Strasse nach Coroico. Sie schlängelt sich vom trockenen Altiplano runter in die Yungas mit ihrer üppigen Vegetation, einer teils fast senkrechten Felswand entlang. Die Abgründe sind steil, tief und kaum eine Leitplanke ist auszumachen. Für westliche Touristen ist dies furchteinflössend und ungewohnt. Die Strasse ist nahe La Paz, so lässt sie sich als Tagesausflug mit dem Mountainbike „machen“. Andreas und Kathrin kreuzten solche organisierte Tourenfahrer. Mit downhill-Helmen, Rückenpolstern und Ellbogenschonern ausgerüstet sind ihnen die „Abenteurer“ entgegen geschossen. Obligat war die GoPro-Kamera am Helm befestigt, um den „Nervenkitzel“ aufzuzeichnen und der Nachwelt zu vermitteln.
In Bolivien wie auch in Peru gibt es Tausend solcher „Todesstrassen“, nur ist noch keinem eingefallen sie zu vermarkten. Oft sind dort die Abgründe viel tiefer als bei Coroico, bis zu 1600 Meter Höhendifferenz zwischen Strasse und dem weit unten liegenden Talgrund hat Andreas ausgerechnet. Diese „Todesstrassen“ zeichnen sich aus durch unübersichtliche Kurven, schmale und steile Trassen und kaum Möglichkeiten zum Passieren. Kreuze am Strassenrand zeugen von Unfällen unvorsichtiger oder übermüdeter Fahrer und derer Passagiere. Den Einheimischen aber bleibt nichts anderes übrig als diese Strassen zu befahren, für sie ist es gewiss kein Adrenalin-Kick. Zweifelsohne würden sie keinen Heller bezahlen um die Ruta del la muerta zu befahren.


Bolivien – Staubland par exellence
Die Strassen Boliviens sind in mannigfachem Zustand. Während die Hauptstrassen geteert sind und ein einigermassen schnelles Vorwärtskommen gewährleisten, gibt es tausend kleiner Bergstrassen die schmal, staubig und mit Schotterbelag sind. Schlecht sind sie nicht wirklich, aber Andreas fährt langsam, da die Kurven unübersichtlich sind. Der feine Staub dringt durch die Ritzen des Landcruisers und jeden Abend sind die Oberflächen der Möbel und der Boden im Auto unglaublich staubig.
Am schlimmsten sind die Strassen im Tiefland. Von Trinidad westwärts ist die Staubpiste so von den Lastwagen ausgefahren, dass sich tiefe Kuhlen gebildet haben in denen der lose Staub nur darauf wartet vom nächsten Auto aufgewirbelt zu werden. Teilweise ist die Staubwolke so gross und undurchsichtig, dass Andreas den Lastwagen vor uns nicht überholen kann, da er den entgegenkommenden Verkehr nicht mehr erkennen kann. Der Staub ist so fein, dass er durch die Lüftung in den Fahrerraum dringt und Kathrin deshalb die Lüftung abstellt – sehr unangenehm bei 35° Hitze! Am Berghang haben sich durch die Beschleunigung der schweren Lastwagen richtige Wellen in der Strassenoberfläche gebildet die so tief sind, dass wir mit 10 km/h darüber schaukeln.
Andreas und Kathrin stossen auf viele Baustellen. Teilweise wird die Strasse komplett gesperrt für etwa eine halbe Stunde oder so, teilweise ist sie nur einspurig befahrbar. Für die Bauarbeiter ist die Situation in beiden Fällen unangenehm, denn die bolivianischen Fahrer kümmern sich nicht um die Sicherheit oder das Wohlergehen der Arbeiter: Kaum ist die Schranke geöffnet brausen sie in hohem Tempo durch die Baustelle und hinterlassen grosse Staubwolken. Ein undankbarer Job den die Strassenbauer für die Allgemeinheit erledigen.
Auch wenn die asphaltierten Strassen erstaunlich gut sind, ist das Fahren nicht so unbeschwert wie in Europa. Denn öfters kommt es vor, dass plötzlich ein Stück von vielleicht 50 Metern nicht geteert ist. Zwischen Teer und Schotter fällt die Strasse 10 Zentimeter ab und Schlaglöcher oder Steine erschweren die Durchfahrt. Andreas nimmt diese Hindernisse in der Zwischenzeit locker und regt sich nicht mehr auf. Solche Überraschungen gehören zum Reisen in fremden Ländern.

Desayuno, Almuerzo, Cena
Uyuni ist ein typischer Touristenort. Das staubige Städtchen hat kaum Sehenswürdigkeiten zu bieten, aber es dient als Ausgangsort für den grossen Salzsee, der auf jedem Touristenprogramm steht. So kommt es, dass die Strassen gesäumt sind von Restaurants, die Pizza, Pasta, Burgers, Pancakes, Sandwiches, Fruchtsäfte und Heinekenbier anbieten. Beliebt sind auch Falafel und asiatische Nudelsuppe. Gerichte die normalerweise auf einem südamerikanischen Menü nicht existieren und die meist auch nicht authentisch gekocht werden. Die Menükarten vieler sehr touristischer Orte sind austauschbar, sie sind angepasst an Europäer und Amerikaner und verlieren dabei den lokalen Anstrich. Ich kann verstehen dass Andreas keine matschige Pizza oder verkochte und fade Spaghettis essen will. Vor allem weil meine zwei Reisegefährten selbst sehr gerne und auch aufwändig kochen und lieber die lokale Küche kennen lernen.
In Bolivien aber ist die lokale Küche oft sehr einfach und gewöhnungsbedürftig. So essen die Einheimischen zum Frühstück schon Huhn, Leber oder Zunge mit Reis. Allgegenwärtig sind fettige Pommes frites die zu allem serviert werden. Schwierig wird es in kleinen Dörfern auf dem Land, da gibt es oft gar keine Restaurants, da die Kundschaft fehlt – wenn die Menschen kein Geld zum ausgeben haben, dann brauchen sie auch keine Verpflegungslokale.
Konträr hingegen haben Kathrin und Andreas zum Beispiel Sucre erlebt. Obwohl die Stadt oft von Touristen besucht wird, hat sich hier eine gastronomische Szene entwickeln können die nicht total von westlichen Einflüssen übertüncht ist. Lokale Produkte werden zu spannenden Gerichten verarbeitet und in einem gemütlichen, aber nicht übertrieben touristischen Ambiente, serviert.
Kaum ein Land zuvor hat Kathrin und Andreas mit zwei so krass gegensätzlichen Gesichtern überrascht. Ich bin froh, haben die zwei die Energie aufgebracht sich beide Seiten anzusehen und auch, dass sie sich Gedanken über das Erlebte gemacht haben. Gerade in Bolivien, wo so viele Touren angeboten und soviel Abenteuer versprochen wird, geht das Lokale und Urtümliche schnell mal unter.
 

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