Ferner Osten - Die fantastische Reise des Froschs

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Vom Baikalsee in den russischen Fernen Osten
oder, wenn es richtig frostig wird



Ich bin ja sooo stolz auf mich. Was ein Frosch doch alles kann! Ich habe nämlich Kathrins und Andreas' Landcruiser bewacht und ihn in der Zeit, in der die Zwei in der Schweiz Weihnachten feierten, verteidigt. Sicher schlugen sie sich die Bäuche voll, tranken gute Weine und liessen sich mit Geschenken überhäufen. Aber ich liess mich von solchen Gedanken nicht von meiner Arbeit abhalten. Ich musste richtig kämpfen, damit keiner in das Auto einbrach und keiner die Karre abschleppte. Ich sage Euch, jeden Tag kamen düstere Mafiosi und…. na ja, vielleicht übertreibe ich auch ein bisschen, meine Bewachungsaufgabe war nicht ganz so dramatisch, denn in weiser Voraussicht hat Andreas nämlich das Auto auf einer Stajanka, also einem bewachten, sicheren Parkplatz eingemietet. Das war wohl sein Weihnachtsgeschenk an mich, damit nicht allzu viel Arbeit an mir hängen bleibt.

Auf jeden Fall, als Kathrin und Andreas am 30. Dezember aus der Schweiz zurück nach Irkutsk kamen, stand das Auto unversehrt an seinem Platz. Und die Zwei waren über die Feiertage gar nicht dick und rund geworden. Sie gingen ja auch nicht nur zum Festen nach Hause. Andreas hatte eine ganze Menge Arbeit zu verrichten, damit sein Postkartengeschäft im Engadin, welches ihn mit dem nötigen Kleingeld die Reise finanziert, weiter läuft. Drei Wochen waren mir genug Einsamkeit, ich vermisste die Gesellschaft der Beiden. Dafür kamen sie mit einem riesigen Haufen Schokolade und vielen Teebeuteln hier an. Ersteres entzückt mich ehrlich gesagt mehr, aber Kathrin kann halt ohne Tee fast nicht auskommen.


Irkutsk
Es hat mich ja unheimlich gefreut, dass Kathrin und Andreas rechtzeitig zum Neujahr zurückkamen, um den Jahreswechsel mit mir zusammen zu verbringen. Spät in der Nacht  des 31. Dezembers spazierten wir zum Kirovplatz. Da steht neben einem 20 Meter hohen Weihnachtsbaum eine Eisrutschbahn und das ist die grosse Attraktion der Stadt. Ich bin da inmitten von Jung und Alt viele Male runtergerutscht. Die einen schlittern auf dem Hosenboden runter, die anderen auf einem Plastikschlitten oder auf den Schuhsohlen oder auch auf ihrem teuren Pelzmantel. Das war ein Gaudi. Dann durfte ich auch noch auf dem Rücken eines Kamels durch den Park reiten. Und in einem Irrgarten aus Eisklötzen, der eigentlich für Kinder angelegt wurde, habe ich mich ganz schlimm verlaufen. Kathrin und Andreas begeisterten sich mehr für die filigran gearbeiteten Eisskulpturen zum Thema Olympiade in Sochi.

Nun war auch endlich Zeit, sich die Stadt Irkutsk anzuschauen, welche von wunderschönen alten Kaufmannshäusern nur so strotzt. Klar ist nicht mehr alles in einem Topzustand, wir sind ja schliesslich in Russland. Aber in vielen der Häuser befinden sich heute Geschäfte mit grossen Namen wie Benetton, Adidas, Gucchi und auch viele Juwelierläden. Die Gebäude werden unterhalten und sind belebt. Wir laufen stundenlang durch die Strassen und gucken uns die Häuserzeilen, Kirchen und Plätze an. Alles ist in Weihnachtsstimmung, denn hier im orthodoxen Russland wird Weihnachten erst am 6. Januar gefeiert.


Auf der alten Baikalstrecke
Schon im letzten Jahr versuchten wir einen Ausflug mit der kleinen Baikalbahn zu organisieren. Dies scheiterte bis jetzt an der Jahreszeit oder am Fahrplan oder an der Zeit oder an der Unmöglichkeit verlässliche Informationen aufzutreiben. Nun aber hatte mir der Wächter der Stajanka verraten, dass wegen der Neujahrsfesttage ein Extrazug fährt und es noch wenige Plätze frei hat. Ein erlebnisreicher Tag erwartete uns. Der Zug war voll mit Touristen, alles Russen. Und was mich am meisten beeindruckt hat, waren die mit Esswaren bepackten Tische der Passagiere. Da ging es gar nicht wirklich darum nur die Landschaft zu bestaunen und zu fotografieren. Kaum waren die Leute eingestiegen, packten sie ihre Schüsselchen und Schälchen mit Leckereien aus, Salate, belegte Brötchen, Wurst und gebratenen Fleischstückchen, Kekse, Früchte, Schokolade, Bonbons und vieles mehr, dazu gab es Wein, Cognac, Saft und Tee. Und es wurde den ganzen Tag über gefuttert. Nur gerade während den Pausen stiegen alle aus und hörten artig der Reiseleiterin zu was sie über die Geschichte der Bahn und der Region zu sagen hatte. Leider alles auf Russisch, ich habe gar nichts verstanden.


Im Barguzintal
Ein paar Tage später waren wir im Barguzintal. Dort hat es mir ausserordentlich gut gefallen. Ich konnte zusehen, wie der Baikalsee langsam ans Zufrieren dachte. Ein stürmischer Wind trug Schnee- und Eisklumpen, die sich an der Wasseroberfläche bildeten, ans Ufer wo sie zusammenpappten und riesige Wälle bildeten. Einzelne Buchten waren schon zugefroren, andere noch gar nicht. In letzteren spritzte das Wasser bis über die Steine und hoch in die Bäume hinauf und verwandelte das Ufer in eine Märchenwelt. Zum Glück bin ich noch jung und gelenkig und konnte immer noch rechtzeitig vor den eisigen Spritzern davon springen, sonst wäre ich jetzt dort auf einem Felsen festgefroren.

Die „Heilige Nase“, eine Halbinsel am Ostufer des Baikalsees, habe ich schon vor der Reise auf der Landkarte studiert, da Kathrin mal ein Buch von einem Abenteurer, der einen Winter in einer einsamen Bucht hier verbracht hatte, gelesen hat. Ich habe aber nie geglaubt, dass Andreas und Kathrin es tatsächlich bis hierher schaffen würden. Die Gegend ist ziemlich abgelegen, aber wunderschön. Nur leider ist es recht kalt, bis zu minus 30° und wir halten uns nie sehr lange draussen auf. Eine Stunde vielleicht und dann verkriecht man sich gerne wieder ins warme Auto.


Der Ferne Osten Russlands
Die Baikalregion mag ja was vom Schönsten sein und ich habe schon in der Mongolei gedacht, dass Kathrin und Andreas hier noch ein Weilchen verbringen möchten, aber mich zieht es nun endlich weiter in den so geheimnisvoll klingenden „Fernen Osten“. M55 heisst die grosse Ost-West-Strasse, welche mehr oder weniger der Transsibirischen Eisenbahn folgt. Wenn es möglich ist, steuert Andreas Nebenstrassen an, aber diese Versuche kann man an einer Hand abzählen - da draussen gibt es kaum mehr irgendwelche. Dafür Wald, Wald, Wald, soweit das Auge reicht und weit darüber hinaus! Wir sehen Birkenwälder, Tannenwälder, Lärchenwälder, Arvenwälder - mal sind sie lieblich offen und locker, mal sind sie Furcht einflössend dicht, oft sind all die genannten Baumsorten gemischt. Das ist aber auch schon alles an Abwechslung - nicht gerade viel auf die Tausenden von Kilometern, die die Taiga ausmacht.

Die Strasse ist neu und meist auf einem grossen Damm - dies lässt vermuten, dass sich hier im Sommer ein riesiger Sumpf ausbreitet. Ach wie gerne würde ich in der warmen Jahreszeit nochmals hier her kommen und mir das genauer ansehen und rumplanschen.
Dörfer sehen wir kaum, denn die neue Strasse wurde fern der Ansiedlungen gebaut. Zum Glück haben wir einen grossen Kühlschrank und sind nicht jeden Tag darauf angewiesen einzukaufen - das wäre gar nicht so einfach.

1200 Kilometer hinter Irkutsk erreichen wir Chita. Viel gibt's nicht zu sehen in dieser grossen Stadt, die für Ausländer lange geschlossen war. Weitere 1100 Kilometer rattern wir in 3 Tagen ab, bis Never, einem Weiler mit ein paar lotterigen Holzhäusern und der Abzweigung nach Jakutsk. Die unendlichen Weiten beeindrucken uns sehr. Wirklich ein idealer Ort für die russischen Gulags, da braucht es keine Zäune, diese endlosen sumpfigen Distanzen bewältigt kein Flüchtender zu Fuss.

Die Strasse führt in Wellen über sanfte Hügel und bietet immer wieder fantastische Ausblicke in die Ferne. Von Never aus sind es nochmals knapp 1200 Kilometer bis in die Hauptstadt Jakutiens. Ich zähle diese Etappen nur auf, damit ihr einen kleinen Eindruck bekommt mit welchen Distanzen wir es hier zu tun haben. Und immer noch sind wir weit von Vladivostok entfernt, weitere 1950 Kilometer warten auf uns.

Aber eigentlich wollte ich Euch nicht mit Zahlen langweilen, sondern von der Strecke Never - Jakutsk erzählen, einem Erlebnis der ganz speziellen Art: Ein breites, nur teilweise asphaltiertes Band zieht sich Kilometer um Kilometer durch eine winterliche Landschaft, die immer frostiger wird und in einer verzauberten Welt endet. Nicht dass es meterweise Schnee hätte, nein die Schneedecke pendelt sich so etwa bei 80 cm ein. Das Thermometer jedoch sinkt ins bodenlose. Hatten wir in Chita schon minus 30° fällt die Anzeige hier täglich weiter, minus 35°, minus 38°, minus 42°…. Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht sind nicht mehr auszumachen, anders gesagt, die Sonne, die uns täglich verwöhnt, vermag nicht mehr zu wärmen. Dafür merken wir bald, dass es sich auf einem Hügel wärmer übernachten lässt als in einer Senke, da sich in den Mulden die Kälte ansammelt. Die extrem kalte Luft verkrustet den Schnee an den Bäumen und lässt weitere Eiskristalle wachsen - eine Märchenwelt breitet sich vor uns aus. Alle paar hundert Kilometer liegt ein kleiner Ort in dem wir uns mit Lebensmitteln versorgen. Dazwischen sehen wir nur ab und zu einen Weiler. Es muss hier in Jakutsien unheimlich viele Bodenschätze geben, doch wir sehen keine Minen oder Gruben, wir sehen nur Wälder und Berge, Berge und Wälder in endloser Wiederholung. Eine fantastische, faszinierende Landschaft!

In Jakutsk angekommen, sinkt das Thermometer sogar auf minus 48°. Unsere Stadtbesichtigung ist entsprechend geprägt von Aufwärmpausen in Geschäften und Beizen, denn lange hält man es draussen nicht aus, obschon ich mich unter Andreas' warmer Jacke verkrichen darf. Kathrin hat ihre Daunenhose und die Minenstiefel an. Den Körper kann man warm halten, aber die Augenwimpern frieren nach etwa 20 Minuten zusammen und mit dem unabdingbaren Schal über dem Gesicht läuft Andreas' Brille an und gefriert auch gleich, er sieht also gar nichts mehr.
Die Stadt liegt am Fluss Lena und somit ist viel Feuchtigkeit in der Luft die einen dicken Nebel über die ganze Region legt, man sieht keine 20 Meter weit. Dieser Nebel lässt weitere Eiskristalle wachsen und so sind Stromleitungen, Zäune und Monumente dick verkrustet. Auch auf die Strasse legt sich eine gefährliche, dünne Eisschicht und lässt die Autos mit nur 30km/h durch die Strassen schleichen. An den Ampeln und in den Kurven hört man ein gruseliges Quietschen der Reifen auf dem Eis. Dieser Nebel kann im Winter tage- und gar wochenlang anhalten und heitert die Gemüter bestimmt nicht auf. Wir sind nur eine beschränkte Zeit hier und geniessen die bizarren Auswüchse, die die extreme Kälte hervorruft.

Die Idee nach Magadan weiterzufahren, 2200 Kilometer hin und das gleiche wieder zurück, lassen Kathrin und Andreas schweren Herzens fallen. Es wäre eine Reise der Extreme, obwohl diese „Knochenstrasse“ wie sie auch genannt wird - da viele der Gulaghäftlinge, die sie bauen mussten, dabei umkamen - im Winter einfacher zu bewältigen ist als im Sommer, wenn die Flüsse unpassierbar werden und Sumpf zum grossen Hindernis wird.
Aber seit Tagen fahren wir durch Wälder und in Richtung Magadan wird es nicht anders sein. Die Landschaft bleibt im Grossen und Ganzen die gleiche. Und bei dieser Kälte ist man sehr ans warme Auto gebunden, das heisst man sitzt fast den ganzen Tag in dieser kleinen Kiste und hat kaum Bewegung. Also für mich reicht der Platz natürlich, aber Andreas zum Beispiel mit seinen langen Beinen kann da drin nicht so gut rumhüpfen. Ganz nach dem Motto „weniger ist mehr“, versuchen wir auf der Strecke von hier nach Vladivostok öfters Spaziergänge zu unternehmen oder auch Schneeschuhtouren. Die Entscheidung fällt den beiden nicht leicht, war Magadan doch schon lange ein Traum. Ich sehe wie sie lange hin und her diskutieren, aber ich kann die Entscheidung verstehen.


Jakutsk war mit fast 62° Nord der nördlichste Punkt auf dieser Reise. Gemächlich machen wir uns auf den Rückweg nach Süden um dem Gefrierschrank hier zu entfliehen. Das Thermometer steigt erst wieder in die minus 30° Zone als wir den grossen West-Ost-Highway erreichen. Es folgen weitere Kilometer durch - ihr werdet es erahnen - Waldgebiete. Unterbrochen wird diese Monotonie durch den Besuch von Khabarovsk und Komsomolsk-na-Amure. Beide Städte liegen am unermesslich grossen Fluss Amur und bieten jede auf ihre Weise willkommene Abwechslung. Der Ferne Osten hat seinen Namen zu Recht verdient. Nach tausenden von Kilometern Taiga, folgt nun ein schon fast dicht besiedeltes Gebiet. Es ist immer noch typisch russisch und trotzdem fühlt man sich etwas wie im Wilden Westen, ähhh Wilden Osten. Eine gewisse Gesetzlosigkeit im Verkehr fällt zum Beispiel auf.

Die Küste am Ochotskischen Meer erkunden wir vom nördlichen Vanino bis nach Vladivostok an verschiedenen Stellen. Natürlich gibt es keinen gut ausgebauten US-Highway 101 der einen gemütlich alles abklappern lässt. Einige der kleinen Strässchen enden in einer Sackgasse, an einer Felswand zum Beispiel, obwohl Andreas' Navigator behautet, die Strasse führe weiter. Überall wo Dörfer, Städte oder Hafenanlagen sind, ist die Gegend verschmutzt. Aber wir finden auch einsame Buchten, spektakuläre Felsformationen und tolle Aussichtspunkte. Nur ans Baden ist definitiv noch nicht zu denken, auch nicht für Frösche.


Am 22. Februar 2014 erreichen wir Vladivostok - nach 51'015 Kilometern unfallfreier Fahrt und nur einer Reifenpanne. Dies haben wir Andreas zu verdanken, der unseren Landcruiser gut pflegt und ihn deshalb jetzt gleich nochmals in eine Garage bringt, für den letzten Ölwechsel auf russischem Boden. In 4 Tagen bereits besteigen wir die Fähre nach Japan, die verbleibende Zeit nutzen wir zur Besichtigung Vladivostoks.
11 Monate Reise liegen hinter uns, unendlich viele Eindrücke haben Kathrin und Andreas in dieser Zeit gesammelt. Um den kommenden Abschied vom russischen Kontinenten zu verarbeiten und sich auf Japan einzustellen, haben sie es die letzten 10 Tage gemütlich genommen. Ich bin froh drum, denn der Unterschied zwischen dem Fernen Osten und Japan könnte grösser nicht sein. Sibirien ist in so etwa das einsamste und leerste Gebiet durch das Kathrin und Andreas je gereist sind, Japan ist eines der am dichtesten bevölkerten Länder der Erde. Bin ja mal gespannt wie sie das verkraften werden. Ich werde Euch auf dem laufenden halten.

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