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Kathrin und Andreas sind losgezogen die viel gerühmten Wildblumen im Südwesten Australiens aufzusuchen. Diesmal gelingt es ihnen, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein - ein Unterfangen das auf einer derart langen Reise nicht immer klappt.
Kathrin, die gerne zum Voraus plant, nimmt die Karte zur Hand und markiert die Flecken, an denen es laut Broschüren die meisten Wildblumen geben soll. Schnell wird den beiden klar, dass die zwei Monate die noch bleiben bevor sie für Andreas' Business und Weihnachten in die Schweiz fliegen, knapp werden könnten um die zig Tausend Blumenarten in den vielen Nationalparks und Waldreservaten zu entdecken.
Des weiteren sind Strände, Granitfelsen, Küstenwanderung, Weingüter, Karriwälder, Wale und der höchste Berg der Region auf dem Blatt Papier aufgelistet das auf dem Tisch vor uns liegt. Wie will Kathrin das wohl alles unter einen Hut kriegen? Spannend wird es auf jeden Fall, das kann ich Euch jetzt schon verraten.
Den „Weizengürtel“, wie die landwirtschaftlich intensiv genützte Gegend im Hinterland von Perth genannt wird, durchqueren wir zügig, da die Blumen hier schon fast verwelkt sind. Kathrin will die Pracht in voller Blüte erleben und nicht nur Zeuge der letzten Momente vor dem Verdorren werden. Die unzähligen, touristisch vermarkteten Ortschaften, die auf der Route liegen, mit ihren immer gleichen Dorfmuseen, Galerien, überteuerten Cafés und ein, zwei pseudo-historischen Bauten, können die Zwei nicht begeistern. Sie erfreuen sich viel mehr an Folgendem:
Eukalypten als Feuermelder
Karri und Tingle sind die grössten Eukalyptusbäume im Südwesten und für mich, den kleinen Frosch, hören sich diese Namen majestätisch, ja gar mächtig an. Die Karris sind die Könige des Waldes. Sie haben eine weisse Rinde und einen schnurgeraden, sehr hohen Stamm. Ihre Krone kann man kaum vom Boden aus erkennen. Ihrer Höhe wegen wurden sie, Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts, als Feuerwachtürme genutzt. Man hat Eisenstangen spiralartig in den Stamm getrieben, um - wie mit einer Leiter - bis zur Plattform ganz oben im Baumwipfel hochklettern zu können. Meilenweit ist die Aussicht und Feuer konnten früh erkannt und geortet werden. Drei dieser Ausgucke sind erhalten geblieben. Natürlich können meine zwei unternehmungslustigen Reisegefährten es nicht lassen, den mit 68 Metern höchsten Bicentennial Tree hoch zu steigen. Etwas mulmig ist Kathrin schon zu Mute, als sie auf den dünnen Stängelchen immer weiter um den Baum herum hochsteigt. Aber aufgegeben wird nicht so schnell, schon gar nicht, wenn eine fabelhafte Aussicht lockt!
Die Tingle Bäume sind ähnlich hoch wie die Karris. Ihr besonderes Merkmal ist der ausladend breite Fuss des Stammes und die rote Färbung des Holzes. Viele der Tingles sind inwändig ausgebrannt und oft steht unten nur noch die äussere, feuerfeste Rinde, während der Baum oben weiter lebt und neue Äste und Blätter bildet. Mich wundert, dass ein so malträtierter Baum noch genug Saft zum Leben hat. Einige der hohlen Stämme sind so gross, dass ein Auto durchfahren kann. Natürlich ist das heutzutage verboten, denn die Wurzeln des Baumes mögen es nicht, wenn auf ihnen herumgefahren wird da sie schnell ganz absterben würden.
Wir können nicht genug kriegen von den vielen Waldsträsschen, die uns kreuz und quer durch diese herrlichen Wälder führen. Leider gibt es die Karri und Tingle Bäume nicht mehr in riesiger Anzahl, denn das rote, harte Holz eignet sich gut zum Bauen und Anfang des letzten Jahrhunderts wurden in dieser Gegend grosse Bestände abgeholzt. Heute sind sie geschützt, aber bis die nach gepflanzten Jungbäume ausgewachsen sind, dauert es 400 Jahre!
Wildblumen in allen Formen und Farben
Wir finden bald heraus, dass in den Nationalparks die Blütenpracht am intensivsten und dichtesten ist. Zwar haben wir keine bunten Blumenwiesen wie in den Schweizer Alpen gesehen, dafür aber alle möglichen und unmöglichen Formen und Farben von Blüten. Orchideen, Lippenblütler und weitere Arten, die bei uns gar nicht vorkommen. Eine Farbenvielfalt von weiss, gelb in verschiedenen Tönen, orange, knallrot, allen Nuancen von lila und rosa bis hin zu himmelblau. Am meisten angetan haben es Kathrin und Andreas die Familie der Banksias. Das sind Büsche oder Bäume mit faustgrossen, zapfenartigen Blütenständen in meist gelber Farbe. Alle sehen sie sich ähnlich, erst wenn man genau hinschaut, sieht man die Unterschiede in Farbe und Form. Wenn die Blütenstände verwelken, bilden sich holzige Samenstände - Tannzapfen nicht unähnlich - jedoch viel dicker. Die Banksias tragen Blüten in verschiedenen Entwicklungsstadien und Zapfen gleichzeitig, was ihnen ein reich behängtes Aussehen verleiht.
Die aussergewöhnlichste Pflanze aber ist bestimmt die „Kangaroo Paw“, (Känguruh Pfote), deren Name viel über die Form dieser Blume verrät. Auch hiervon gibt es unzählige Arten, Farben und Grössen. Eine Art hat einen roten Stil und eine grüne Blüte, irgendwie verkehrt herum nicht?
Im Lescheneaux Nationalpark unternehmen wir einen Spaziergang, auf welchem wir tatsächlich alle 20 Meter eine neue Blumenart entdecken. Die kleinsten sind gerade mal zwei Millimeter gross, oder haben wegen der Trockenheit gar keinen Stil, die Blüte wächst direkt aus dem Boden.
Andere Blüten haben die Form von zwei aneinander gelegten Hufeisen in Miniform. Die Orchideen haben lustige Namen wie Kuhlippe oder Spinne. Eine komplett neue Welt eröffnet sich uns und wir kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus.
12'000 Arten Wildblumen gibt es in Westaustralien, 8000 davon alleine im Südwesten. Kathrin hätte gerne ein Blumenbuch dabei gehabt, um die vielen Arten bestimmen zu können - ich denke, hätte sie eines gehabt, wären wir in zwei Jahren noch am Blumen bestimmen gewesen. Andreas hingegen hat die Kamera zur Hand genommen und jede einzelne Blume, der wir begegnet sind, fotografiert. Eine schier endlose Arbeit, obwohl wir gerade mal etwa 3% der 8000 gesehen haben. Eine Auswahl der Aufnahmen habe ich für Euch in die Bildergalierie gehängt.
Cape to Cape Trail
Im Städtchen Margret River lassen Kathrin und Andreas unser Auto bei Australiern, die wir unterwegs kennen gelernt haben, stehen und schnüren die Wanderschuhe. Gleich vor deren Haustüre führt der Cape to Cape Trail vorbei, ein Wanderweg auf dem man sieben Tage einer wilden, zerklüfteten Küste entlang wandert. Für drei Tage packen sie Lebensmittel, Zelt, Isomatten und Schlafsäcke ein und marschieren los. Der Weg schlängelt sich durch eine Art Heidelandschaft deren Büsche manchmal fast mannshoch sind und in einem zarten blau blühen. Von der Heide führt der Weg durch Wälder, entlang von Klippen und Stränden. Letzteren entlang zu wandern ist enorm anstrengend, denn der Sand ist so weich, dass man tief einsinkt und sich die Schuhe schnell mit Sand füllen. Die ganze Wegstrecke ist unverbaut, bis auf zwei, drei Dörfer, wo man Wasser und Proviant aufstocken kann. Eine Bucht folgt der nächsten, mal erleben Kathrin und Andreas sie vom Strand her, viel schöner aber ist es, von den Klippen herunterzuschauen. Unaufhaltsam rollen die Wellen auf die Küste zu, laut tosend und sich an Felsen brechend. In den Buchten mit den grössten Wellen vergnügen sich frühmorgens oft Surfer, ab und zu auch mal Delphine. Das Meer ist glasklar, am liebsten würde Andreas hineinspringen, aber es ist zu kalt und die Brandung zu rau und wild zum Schwimmen.
Andreas geniesst es, den ganzen Tag kaum einen Menschen auf diesem Trail zu sehen. Er erlebt ein Gefühl von „Weit-weg-von-der-Zivilisation“zu sein. Kathrin beschwert sich über Schmerzen in den Schultern vom ungewohnten Rucksacktragen. Abends stellen sie ihr Zelt auf, essen Brot mit Käse und Wurst, trinken lauwarmes Wasser, legen sich auf die dünnen Isomatten und versuchen zu schlafen. Ultraleicht Wandern ist das Motto und so ist kein Kocher dabei und es gibt drei Tage lang keinen Kaffee und keinen Tee. Nur Wasser und Brot. Dafür stellt sich schon bald dieses sagenhafte Gefühl des Langstreckenwanderns ein: von morgens früh, bis abends spät nichts anderes tun als einen Fuss vor den anderen zu setzen und dabei die Landschaften in sich aufzusaugen, die verschiedenen Gerüche wahrzunehmen, den Wind auf der Haut und in den Haaren zu spüren, sich der grossen Freiheit bewusst zu sein und das Lager aufzuschlagen, wo es einem am besten gefällt.
Wilde, unberührte Küste
Je weiter wir der Küste gegen Süden und allmählich gen Osten folgen, desto einsamer wird die Gegend, wilder und malerischer die Landschaft. In leichtem Bogen ziehen sich die endlosen Strände der Küste entlang. Der Sand am Strand ist so weiss, dass die Augen geblendet werden, und so fein und fest, dass er von den Wellen nicht aufgewirbelt wird. Deshalb ist das Meer durchsichtig klar, jedes Fischchen sieht man und jeden Krebs. Die Blautöne wechseln von türkis über aquamarin bis himmelblau. An den Enden der Buchten ragen oft glatt geschliffene Felsen vom Ufer ins Meer, die hohen Wellen donnern mit lautem Getöse an diese Felsplatten und das Wasser spritzt hoch in den Himmel hinauf. Das Sonnenlicht bricht sich in der Gischt und erzeugt einen Regenbogen. Dieses und ähnliche Schauspiele erleben Kathrin und Andreas fast jeden Tag. Stundenlang können die zwei am Ufer sitzen und dem Meer mit seinen Wellen zuschauen.
Kleine Stichstrassen führen immer wieder an die Küste und an jedem Ende liegt einer oder gar mehrere dieser fabelhaften Strände in einer einsamen Bucht. Selten einmal erblicken wir einen Fischer, aber garantiert keine Sonnenanbeter oder Badenden. Das Wasser ist meist zu wild und gefährlich zum Baden und die Sonne ist zu intensiv um sich zu sonnen. Zudem ist ein 4x4 Fahrzeug Voraussetzung, um auf den meist sehr sandigen Pisten bis zum Meer zu gelangen. Und sollten doch mal ungewollt Leute auftauchen, gibt es für uns drei immer einen menschenleeren Strand, ein kleines Stück weiter der Küste entlang.
Lucky Bay ist ein viel versprechender Name und die Bucht ist auf einer Teerstrasse erreichbar, deshalb verschlägt es einige Touristen hierher. Tatsächlich ist das Wasser in der Lucky Bay noch intensiver blau und der Strand noch etwas leuchtender. Unseren Top Traumplatz aber finden wir ein paar Kilometer westlich des Cape Le Grande Nationalparks. Ein Bach fliesst ins Meer, grosse Steine bilden eine Barriere und formen eine Poollandschaft sondergleichen. Bei Flut ist die Felsenlandschaft überschwemmt aber bei Ebbe bilden sich kleine Wannen deren Wasser sich angenehm erwärmt und zum Baden einladen. So tummeln wir uns alle drei in dieser natürlichen Wellness-Anlage mit Sicht auf eine lange Bucht mit weissem Strand. Draussen vor der Küste liegen ein paar Inselchen über uns schweben Möwen und andere Wasservögel. Das Paradies auf Erden!
Abschied von Westaustralien
In der Waldregion der Karri und Tingles ist das Wetter feucht, es regnet regelmässig, richtiges Froschwetter wie ich es liebe. Nur des vielen Niederschlages wegen gedeihen hier die Bäume so gut. Je weiter wir nach Osten vordringen desto trockener wird es und der Wald schwindet abrupt, Buschland nimmt seinen Platz ein. Die Küstenabschnitte sind fast überall durch Nationalparks geschützt und so werden die einsamen Strände bestehen bleiben und laufen nicht Gefahr, im Stil von Spaniens Küste, überbaut zu werden. Je östlicher wir ziehen desto weniger Ortschaften tauchen auf, auch die Anzahl der Farmen wird geringer, zu trocken und abgelegen ist die Region. Höchstens auf Ruinen früherer Siedler stossen wir, die ihr Glück als Viehbauern versuchten, mit der Zeit aber der harschen Natur und sengenden Hitze nachgeben mussten. Die Überbleibsel zeugen von einem harten und einsamen Leben.
Wir ziehen weiter nach Osten und sehen den Busch niedriger und lichter werden, bis er im Nullarbor, dem baumlosen Gebiet zwischen West- und Südaustralien ausläuft und Kathrin und Andreas in ein neues Kapitel der Reise führt. Für die zwei war der Südwesten Australiens mit der Vielfalt der Pflanzenwelt und der herausragend schönen Küstenlandschaft ein weiterer Höhepunkt dieses Kontinents. Es bleibt die Frage, ob die Fahrt auf der Canning Stock Route immer noch die Nummer eins ist unter den Erlebnissen, oder ob sie nun eventuell auf die Nummer zwei rückt.
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